Ich liebe die sizilianischen Dörfer. Sie sind für mich so ruhig und vertraut, manche auch sehr malerisch und doch so voll mit Leben. Die Ortschaft aus der ich komme, besteht aus ca. 19.000 Einwohnern. Die Einwohnerzahl ist durch die vielen Auswanderungen sehr zurückgegangen. Aber trotz geringer Einwohnerzahl kann es nicht mehr als kleines Dorf angesehen werden, weil es von der Fläche her sehr weitläufig geworden ist. Früher bestand es aber nur aus dem zentralen Kern des Ortes, in dem ein schmales Haus neben den anderen stand. Die Häuser bestanden früher nur aus 1-2 Zimmern, in denen sogar Großfamilien lebten. Mit der Zeit wurden die Familien kleiner, aber die Häuser immer größer. So stehen viele dieser alten Häuser heute leer, weil die Bewohner ein neues und viel größeres Haus mit Garten in einem neuen Teil der Ortschaft gebaut haben.

 

Bild der Piazza Marconi in Trecastagni, Sizilien

Trecastagni, Piazza Marconi
Bild von: GFDL, Link

 

Die typische sizilianische Ortschaft: Eine Hauptstraße und wenige Gassen

Es gibt aber immer noch viele sizilianische Dörfer, die nur aus einer Hauptstraße und einigen kleinen umherliegenden Gassen bestehen. Die Gassen sind dabei so schmal, dass maximal ein Kleinwagen durch kommt. Alle kennen sich untereinander und abends sitzen dann viele vor ihrer Haustür und unterhalten sich. Jeder nimmt an den Gesprächen teil, selbst Passanten, die beim Vorbeigehen etwas mithören. Es wird über den einen oder den anderen hergezogen oder die Leute, die über die Straße laufen werden begutachtet und kommentiert. Fremde würden das als sehr unangenehm empfinden, aber wenn man in so einem Ort geboren wurde und gelebt hat, dann kann man darüber nur schmunzeln. Ganz besonders lustig und unterhaltsam wird es in Sackgassen. Dort sind dann ganz besonders abends alle draußen vor ihren Türen und unterhalten sich laut und lustig. Während der Unterhaltung wird dabei viel mit Gestik gesprochen und nachgeahmt wird. Da kann manchmal das beste Theater nicht mithalten! Es werden dann auch Köstlichkeiten rumgereicht, die die eine oder andere zubereitet hat, Rezepte ausgetauscht, usw.

 

Bild der Via Garibald in Adrano in Sizilien

Adrano, Via Garibaldi
Bild von Clemens Franz – Eigenes Werk, CC BY 2.5, Link

 

Das Leben in einer schmalen sizilianischen Dorfgasse

Meine Oma wohnte in so einer schmalen Gasse. Als Kind war ich fast den ganzen Tag über bei meinen Großeltern, weil meine Tante mit ihren Kindern gleich im Haus nebenan wohnte. Abends kamen dann meine Eltern hinzu, die meine Großeltern besuchten und ebenso andere Geschwister meiner Mutter mit ihren Kindern. Jeder Abend kam mir immer wie ein Fest vor. Es wurde laut und durcheinander gequatscht, während wir Kinder spielten, lachten oder stritten. Ab und an kommentierten auch die vor ihrer Tür sitzenden Nachbarn, oder es kam eine  Nachbarin dazu, die gerade auf ihren Balkon die letzte Maschine Wäsche auf hing. Die Wäscheleinen werden in kleinen Ortschaften oft von Haus zu Haus oder von Balkon zu Balkon gespannt. Das Auf- oder Abhängen der Wäsche wird dann gleich genutzt, um Tipps zum Wäsche waschen, bügeln usw. auszutauschen. Niemand stört sich daran, dass dann auf den Straßen Wäsche hängt.

 

Bild der Porta Reale in Noto, Sizilien

Porta Reale in Noto, Sizilien
Bild von PinodarioEigenes Werk, Gemeinfrei, Link

 

Jeder hilft jedem und niemand ist mit seinen Problemen alleine

Was ich sehr toll finde, ist, dass in einem Ort niemand auf sich allein gestellt ist. So werden bürokratische Angelegenheiten auch für Verwandte und Nachbarn miterledigt.  Ein Postbesuch zum Beispiel ist für viele eine ganz unangenehme Sache. In der ganzen Ortschaft gibt es nur eine Post und die bürokratischen Bedingungen machen das Ganze nicht leichter. So muss man immer einen halben Tag Wartezeit einplanen, wenn man zur Post muss. Es ist daher verständlich, dass viele Magenbeschwerden bekommen, sobald ein Postbesuch ansteht. Aber da bei uns alles lockerer ist, wird dann gesammelt. So wird nebenbei angekündigt: „Ich muss diese Woche zur Post! Wer braucht was?“ So meldet sich der eine oder andere Nachbar mit Unterlagen oder Zahlungen, die er erledigen muss und die dann vom anbietenden Postbesucher übernommen werden können. Man geht selten nur für sich selbst zur Post, sondern auch für Verwandte und Nachbarn. Hat man keine Zeit, so kann man in der Nachbarschaft fragen, ob jemand zur Post muss und seine Unterlagen mitgeben.

Wenn man Nachbarn, Freunde oder Verwandte besuchen will, braucht man nur an der Tür zu klingeln. Niemand ist genervt. Ganz im Gegenteil. Enttäuscht sind die Menschen nur, wenn länger kein Besuch kommt.

 

Bild der Freitreppe Santa Maria del Monte mit Keramikstufen in Caltagirone, Sizilien

Caltagirone – Sizilien Freitreppe Santa Maria del Monte mit Keramikstufen
Bild von: Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird angenommen, dass es sich um ein eigenes Werk von Gmelfi handelt (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben)., Gemeinfrei, Link

 

Sommerfeste mit Theateraufführungen und freien Open-Air Konzerten

Im Sommer werden die Straßen viel lebendiger und feierlicher durch die sommerlichen Straßenfeste. Es werden Bühnen für Theateraufführungen aufgebaut, Sänger eingeladen, es gibt Straßenstände usw.  Auch sehr bekannte italienische Sänger wie Aleandro Baldi, Mietta, Riccardo Cocciante, Biagio Antonacci, I Matia Bazar, usw. sind schon zu solchen Festen gekommen. Die Konzerte finden bei freiem Eintritt und freiem Himmel statt, sie können sogar von den eigenen Fenstern und Balkonen aus genossen werden, wenn man das Glück hat an einem dieser Veranstaltungsplätzen zu wohnen. Am ganzen Platz wird dann gejubelt und getanzt.

 

Fischerhafen in Aci Trezza
Bild von FrabuleuseFlickr, CC BY-SA 2.0, Link

 

Feste zu den ortstypischen Produkten und Spezialitäten

Einmal im Jahr veranstaltet  jede Ortschaft ein Fest, während dessen die ortstypischen Produkte und Spezialitäten vorbereitet und verkauft werden. Diese Feste finden meistens während der Ernte- oder Reifezeit des jeweiligen Produktes statt. So findet zum Beispiel in San Vito lo Capo nahe Palermo das Cous-Cous-Fest (15. bis 24. September 2017) statt, in Bronte nahe Catania das Pistazienfest (22. September bis 01. Oktober 2017) und in Marzameni nahe Syrakus das Tomaten von Pachino Fest (04. bis zum 06. August 2017).

 

Bild von Catania, Via San Giuliano

Catania, Via San Giuliano in Festbeleuchtung
Bild von CC BY-SA 2.5, Link

 

Feste zu Ehren der Heiligen Schutzpatrone

Ebenso gibt es viele religiöse Feste zu Ehren der Heiligen Schutzpatrone. Während der Prozession werden die Statuen der Heiligen von Männern getragen. Eine der wichtigsten religiösen Feier Siziliens ist das Fest der Heiligen Agatha (Festa di Sant’Agata) in Catania. Dieses Fest dauert mehrere Tage. Die Männer tragen in diesen Tagen die Statue der Heiligen durch die Straßen der Stadt, ohne zu schlafen und nur gestärkt durch kurze Essens- und Trinkpausen.

 

Bild vom Fercolo Argenteo Fest Sankt Agatha, Catania

Fercolo Argenteo – Fest der Heiligen Agatha, Catania
Bild von GFDL, Link

 

Obwohl ich im Schulalter in eine deutsche Großstadt gezogen bin und mir mittlerweile ein Dorfleben auf Dauer nicht mehr vorstellen kann, vermisse ich manchmal diese Atmosphäre der kleinen sizilianischen Dörfer sehr. Sie gab mir Ruhe und Geborgenheit und erlaubte mir eine Luft zu atmen, die in Großstädten kaum vorzustellen ist. Schade, dass auch in meiner Ortschaft die Zeit des vor der Türe sitzens und tratschens endgültig vorbei ist. Die Zeiten ändern sich – sogar in kleinen sizilianischen Ortschaften!

 

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Artikel von Claudia Meli, 14.04.2016

Bildquellen
Titelbild: Panorama von Taormina mit Blick auf Meer und Ätna © Circumnavigation – fotolia.com
Sonstige Bilder: © siehe Angaben unter dem Bild, sonst © Claudia Meli